Zeitungsartikel

Verschlossene und offene Türen

Begegnungen im (weih)nächtlichen Olten

Sogar das Restaurant, das laut Werbung an 365 Tagen im Jahr geöffnet hat, bleibt seltsamerweise den ganzen Tag geschlossen. Verschlossene Türen, wo man hinblickt. Würde man klopfen, bekäme man nicht einmal die abweisende Antwort eines mürrischen Wirtes. Dieser ist wohl gar nicht da, ist bestimmt in wärmere Gefilde verreist.

Eines der wenigen Gasthäuser, das dem nächtlichen Wanderer Aufnahme gewährt, steht zwischen den zwölf Geleisen des Oltner Bahnhofs. Hübsch dekoriert, mit einem prächtigen Weihnachtsbaum versehen, präsentiert sich das Erstklassbuffet. «Geniessen Sie diese Tage und überlassen Sie uns das Kochen und den Abwasch. Wir tun dies gerne für Sie.» So stand es in der Zeitung. Der nächtliche Wanderer und der Fotograf hatten zwar keinen Appetit, doch hätten sie gerne einen Blick in die Küche geworfen und dem Personal, das für die Feiertagsgäste das Kochen samt Abwasch besorgt, ein frohes Weihnachtsfest gewünscht und bei der Gelegenheit schnell ein Bild geknipst. Doch der Chef de Service gibt eine abschlägige Antwort. In die Küche hat nur das Personal Zutritt, winkt er ab.

Später erhalten wir immerhin einen Augenzeugenbericht vom Geschehen in der Küche. Der Casserollier, der den ganzen Weihnachtstag im Keller des Buffets Pfannen geschrubbt hat, lädt nach seinem Feierabend zum Tee ein. «Too much work today», klagt er und schmiert seine vom Abwaschwasser aufgeweichten Hände mit Nivea-Crème ein. Der Asylbewerber stammt zwar aus dem Nahen Osten, ist jedoch als Moslem nicht gerade ein Weihnachtsspezialist.

Mittlerweile gelingt es ihm immerhin, das seltsame Wort auszusprechen, so dass er seinen Arbeitskollegen «Happy Weihnachten» wünschen kann. «Happy New Year» geht ihm allerdings leichter von den Lippen.

Am Bahnhofkiosk hängen noch immer die unheilvollen Blick-Schlagzeilen vom Heiligen Abend: «Ehepaar erschossen, Sohn verhaftet» und «Guido Baumann ist tot». Ein kleingedruckter Hinweis verspricht zudem Einblick in das weihnächtliche Feiern der Prominenten. Und weil die Prominenz wahrscheinlich am Feiern ist, bleibt das Bahnhofvolk unter sich., Eilige Reisende, die das Perron wechseln, Süchtige, die dringend Zigaretten oder anderen Nachschub brauchen, Menschen aus verschiedenen Ecken der Welt, die in Gruppen herumstehen und - so macht es den Anschein - nicht so recht wissen, was sie mit dem Weihnachtsabend anfangen sollen.

Der stadtbekannte Strassenmusiker spielt seine immer gleichen Lieder, umgeben von einigen jungen Leuten. Vor seinem Gitarrenkoffer flackert eine Kerze, und ein selbstgemaltes Plakat wünscht schöne Festtage. Einer der Jungen - offenbar ein guter Bekannter - tritt neben den singenden, bärtigen Gesellen und fragt ihn, ob er Lust auf ein Fondue-Essen habe. «Kei Zyt», murrt dieser zwischen zwei Noten, ohne seinen Gesang zu unterbrechen.

Er und der Marroni-Mann hätten eben keine Weihnachten, meint er später, nachdem er sämtliche Strophen abgesungen hat und sich eine Pause gönnt. Am zwei Schritte neben ihm stehenden Marroni-Ofen wärmt sich der Strassenmusiker die kalten Finger auf, um gleich darauf weiterzuklimpern.

Hinter der schwarzen, dampfenden Blechtrommel steht ein junger Kosovo-Albaner, der heute arbeiten muss, «weil der Chef es will». Als Katholik habe er bereits gestern Abend Weihnachten gefeiert, erzählt er. Üblicherweise verbringe er die Weihnachtszeit zu Hause mit seiner Familie. Dieses Jahr erschien ihm die Situation in seinem Heimatland allerdings zu unsicher. Für den Marroni-Mann gehört zum Weihnachtsfest unbedingt eine Mitternachtsmesse.

Dieses Jahr mussten er und seine Landsleute die Messe am Heiligen Abend jedoch schon um acht Uhr feiern, da die Kirche später besetzt war. Dafür dauerte das anschliessende Fest bis in die frühen Morgenstunden, lacht er. Nun sei er eben müde und froh, seinen Marroni-Stand in einigen Minuten schliessen zu können. Er packt einige Marroni in einen Papiersack und gibt sie dem nächtlichen Wanderer als Weihnachtsgeschenk mit auf den Weg.

Die vielen Glühbirnen, die eben noch über der Altstadt strahlten, sind mittlerweile erloschen. Es wäre ohnehin kaum jemand da, der sich daran erfreuen könnte. Dafür ist im Restaurant National noch alles hell erleuchtet. Die Türe der Gaststube steht sperrangelweit offen. Dies allerdings kaum als einladende Geste. Der Wirt versucht vielmehr seine letzten Gäste mittels kalter Winterluft aus seiner warmen Stube zu komplimentieren. Jetzt bleibt für die Unverbesserlichen nur noch eine letzte Zuflucht: bei Giacomo im Coq d'Or.

Offenbar hat sich der Geheimtipp rasch herumgesprochen, ist doch in der halbdunklen Bar eine bunt gemischte Gästeschar anzutreffen. «Buon Natale a tutti», steht über dem Regal mit den Schnapsflaschen. Spätestens um halb eins, so droht der Barman, muss auch er sein Lokal schliessen. Aber dann ist ja bereits der 26. Dezember und Weihnachten war gestern und bis zur nächsten dauert es ziemlich genau ein Jahr.

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